Demokratie erfahrbar machen
Was haben ein Poetryslammer und ein Rechtsanwalt gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nichts, aber diese beiden unterschiedlichen Charaktere verfolgen ein gemeinsames Ziel. Demokratie anfassbar gestalten und den Wert dieser an die nächsten Generationen weitergeben. Zu diesem Zweck bedienen sie sich der Geschichten ihrer Vergangenheit und derer ihrer Familien, welche sich zur Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit zugetragen haben. Denn sie sind Zeitzeugen, welche sich neben anderen für die Zeitzeugenbörse Hamburg engagieren und die Möglichkeit nutzen, sich an den Schulen Hamburgs für Demokratie einzusetzen.
Claus Günther, geboren 1931, setzt sich aktuell als Zeitzeugenaktivist ein. Darüber hinaus verfasste er die Autobiographie „Heile, Heile Hitler“, in jener er ebenfalls seine Geschichte, verschriftlicht erzählt, um sie mit der Welt zu teilen, um Aufmerksamkeit auf diese vermeintlich lang zurückliegende Zeit Deutschlands zu richten. Seine Ausführungen strotzen vor Ehrlichkeit und Reflexion, auch philosophische Themen begleiten seine historisch akkuraten Erzählungen über seine persönliche Geschichte auch über Harburg in den 1930ern. Er wirkte auf uns sehr offen, freundlich und dennoch hatte er eine Ernsthaftigkeit inne, die uns Wochen später noch mitnimmt. Er schaffte über seine Art einen unvergleichbaren Zugang und Einblick in schwere Themen wie Indoktrination, Manipulation, Gewalt und Gehirnwäsche.
Herr Schultz-Süchting, geboren 1944, setzt sich ebenfalls als Zeitzeuge für den demokratischen Austausch und das Lernen aus der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft ein, dies macht er auch in seinem Beruf als Rechtsanwalt. Er ist ein großer Mann mit einer festen Stimme und klaren Worten. Er spricht viel von Demokratie, von der Entstehung des Grundgesetzes von der Studierendenbewegung Ende der 1960er, von verschiedenen historischen und gegenwärtigen nationalen wie internationalen Krisen. Davon, dass wir Fragen stellen sollen – er selbst bekam von seiner Familie kaum Antworten, wenn er sie zu NS-Zeit befragte. Fast schon kollektives Schweigen sei an der Tagesordnung gewesen. Er stellt uns Fragen, auf die wir nicht immer eine Antwort hatten. Er unterbricht uns auch mal. Irgendwie fanden wir das komisch, nicht so cool. Aber gesagt haben wir nichts. Er betont immer wieder wie schnell die Stimmung kippen kann und wie schnell die NS-Indoktrination von statten ging. Wir nicken und denken, uns würde das nicht passieren, wir würden Fragen stellen, wir würden was sagen. Aber was haben wir in dem Moment gesagt als wir mal eine Frage nicht beantworten konnten oder uns komisch fühlten? Nichts. Gar nichts. Und das war im Klassenzimmer. Was hätten wir also bitte in den 1930ern, 40ern, 50ern, 60ern, 70ern gesagt, geschweige denn getan?
Nach mehr als zwei spannenden Stunden, die uns vorkamen, als ob nur Minuten vergangen seien, verlassen uns die beiden beeindruckenden Männer wieder, aber natürlich nicht ohne dass Herr Günther uns eines seiner lustigen Gedichte vorslammt. Die beiden Zeitzeugen bewegen immer noch einiges in uns und haben uns gezeigt, wie wichtig es ist miteinander reden und sich zu äußern, wenn man etwas nicht versteht oder nicht hinter etwas steht. Und ja, auch, wie schwer das ist.
Ein herzliches Dankeschön von der Gruppe aus dem BG20C, der FS20-8 und Sissy Geider